„Die Landwirtschaft hat bis heute überlebt, weil sie sich immer wieder verändert hat.“
Foto credits des gesamten Artikels © Patrick Schwienbacher
Tradition und stete Veränderung der Apfelwirtschaft in Südtirol
*aus ipoma Ausgabe 01, “Die Zukunft des Apfels”, Ex Libris 2020
Wer sich auf die Suche nach der Zukunft des Südtiroler Apfels macht, ist am Pieracherhof in Signat an einer guten Adresse. Auf 800 Meter Meereshöhe, inmitten eines Postkarten-Panoramas und mit Südtirols Landeshauptstadt zu Füßen, reifen auf sechs Hektar terrassierter Anbaufläche Äpfel heran, die aufgrund der geringen Mengen teilweise noch nicht kommerziell vermarktet werden – aber bereits wohlklingende Markennamen wie SweeTango tragen.
„Es ist etwas aufwendig, sie zu ernten, da man von jedem Apfel den Stängel abschneiden muss, damit er andere nicht ansticht“, sagt Landwirt Andreas Rottensteiner und zeigt auf noch kleine rote Früchte. „Doch in Geschmack und Konsistenz sind das absolute Premium-Äpfel – und so hoffe ich, dass man die Mehrarbeit bezahlt bekommt.“
„Die Landwirtschaft hat bis heute überlebt, weil sie sich immer wieder verändert hat“, ist Andreas Rottensteiner überzeugt.
„Der größte Fehler, den man machen kann, ist deshalb, nichts zu tun und immer bei der gleichen Sorte zu bleiben.“
Weiterhin durch höchste Qualität, lautet die Antwort der großen Südtiroler Erzeugerverbände, des oben genannten VOG und des Verbandes der Vinschger Produzenten für Obst und Gemüse (VIP). Um dieses Versprechen zu halten, ruht man sich nicht auf guten klimatischen Produktionsbedingungen aus. Sorteninnovation, naturnahe Produktion, technologische Führerschaft und konkurrenzloser Service sind die wichtigsten Instrumente, mit denen die Zukunft von über 7.000 Apfelbauern im Land gesichert werden soll.
Die Schwerpunkte von VOG und VIP mögen sich dabei teilweise unterscheiden. Vor allem bei der Erneuerung des Produktsortiments zieht man jedoch an einem Strang – seitdem vor 18 Jahren mit dem Sortenerneuerungskonsortium Südtirol (SK) eine gemeinsame F&E-Abteilung gegründet wurde. Damals hatte der Siegeszug von Pink Lady verdeutlicht, dass sich neben den Standardsorten ein neuer Markt auftut: die gemanagten Sorten oder Vertragssorten, deren Sorten- und Markenrechte in der Hand von privaten Unternehmen oder Konsortien liegen. Im Gegenzug zu höheren Baumpreisen und Lizenzgebühren erhalten Bauern die Anbaurechte, verbunden mit der Hoffnung, durch einen kontrollierten Anbau und exklusive Vermarktungsrechte in Zukunft bessere Auszahlungspreise zu erzielen. Zugleich zeichnen sich diese neuen Apfelsorten durch besondere organoleptische Eigenschaften aus: vom besonders knackigen Fruchtfleisch über völlig neue Geschmacksnoten bis hin zu besonders guter Haltbarkeit.
Rund 90 Prozent der Äpfel werden nach den Richtlinien der integrierten Produktion angebaut, zehn Prozent werden auf 1.000 Hektar biologisch produziert.
Mit rund 30.000 Tonnen zählt der VOG zu den größten Produzenten von Bio-Äpfeln. Der Verband arbeitet außerdem an der stetigen Internationalisierung seiner Marke Marlene, die 1995 für den italienischen Markt entwickelt wurde und mittlerweile in 25 Ländern zu finden ist: In Spanien zählt Marlene etwa zu den bekanntesten Marken im Obst- und Gemüsesektor.
Ein interessantes Mikroklima findet sich auch im Westen Südtirols, im Vinschgau. Zwischen 500 und 1.000 Meter Meereshöhe erstreckt sich hier das höchstgelegene homogene Anbaugebiet Europas: mit vielen Sonnentagen und wenig Niederschlag, kühlen Nächten und warmen Tagen und dazu einem ständigen Lüftchen, dem Vinschger Wind. Bedingungen, unter denen selbst eine Standardsorte wie Golden Delicious zu ihrer rotbackigen Höchstform aufläuft. Der beliebte Berg-Golden macht deshalb heute immer noch gut 60 Prozent der 320.000 Tonnen Äpfel aus, die vom Vinschger Produzentenverband VIP eingebracht werden. 1.700 Familienbetriebe, organisiert in sieben Genossenschaften, finden sich unter dem Dach der VIP, die 2020 ihr 30-jähriges Gründungsjubiläum feiert.
Auch im Vinschgau werden derzeit alle nicht idealen Golden-Standorte für neue Sorten freigemacht. Genauso viel Bewegung gibt es in Richtung naturnahe Erzeugung. In ganz Südtirol ist im Bereich Integrierte Produktion ein wahrer Wettbewerb um ökologische Praktiken ausgebrochen: von Steinmauern, Vogelnistkästen oder Blühstreifen bis zum freiwilligen Verzicht auf Herbizide; mit Letzterem ist man im Vinschgau Vorreiter. Dasselbe gilt für Bio-Äpfel: Mit 15 Prozent biologisch bewirtschafteter Anbaufläche sind Südtirols Apfelbauern beim Angebot von Bio-Ware europaweite Nummer eins. Im Westen des Landes beträgt dieser Anteil heute schon 20 Prozent. Ein Aufwärtstrend, der sich in allen Südtiroler Apfelanlagen fortsetzen wird – auch auf Basis eines Nachhaltigkeitsprogramms, an dem aktuell mit der Landwirtschaftspolitik gearbeitet wird.
Im Vergleich zur VOG ist der Absatzmarkt der Vinschger Apfelproduzenten übersichtlicher. Rund die Hälfte der Ware wird innerhalb Italiens abgesetzt, der Rest geht nach Deutschland, auf die iberische Halbinsel, nach Skandinavien und in weitere 50 Märkte, auf denen die Vinschger als zuverlässiger Partner auftreten – ob als Eigenmarken-Lieferant großer Handelsketten oder innovativer Verpackungsspezialist. „Das Konsumverhalten verändert sich stetig, Familien werden immer kleiner, die Nachfrage nach Fertigprodukten,
aber auch nach weniger Plastik steigt“, sagt Pinzger. Entsprechend flexibel stellt sich der Erzeugerverband bei seinen Packaging-Angeboten auf: „Diesbezüglich sind wir mit unseren Strukturen auf einem sehr hohen Niveau im weltweiten Apfelsektor.“
Das ist die Formel, mit der Südtirols Apfelanbauer und ihre Genossenschaften die Hürden eines schwierigen Marktes knacken: Die Zukunft des Südtiroler Apfels liegt
stets dort, wo andere noch nicht sind. Neue Wege suchen, sie
begehen, sie anderen aufzeigen – ob bei Qualität und Sorteninnovation, Service oder Technologie. Eine Spezialität der
Südtiroler Apfelwirtschaft, dank der es gelingt, den Apfel
immer wieder neu zu erfinden.