"Wir müssen unseren Lebensmitteln wieder ein Gesicht geben und die emotionale Verbindung zwischen Produkt und Konsument wiederherstellen."
Meike Hollnaicher, Brand Manager Direttissima
Ein Interview mit Meike Hollnaicher, Brand Manager Direttissima
Die Pandemie bringt auch unsere Landwirt*innen dazu, neue Wege zu gehen. Für viele bedeutet das ein nachhaltigeres Konzept von Landwirtschaft - regional, direkt und zukunftsfähig. Um dieses Thema zu vertiefen, haben wir uns Meike Hollnaicher mit ins Messeboot geholt. Als Brand Manager betreut die Bloggerin und Absolventin des Studiengangs Ecosocial Design an der Uni Bozen das Format "Direttissima", die neue Messe (und mehr) für alle Direktvermarktenden.
Meike Hollnaicher, Brand Manager Direttissima
Liebe Meike, wie siehst du denn die Landwirtschaft der
Zukunft?
Das ist eine schwierige Frage. In meinen Augen müsste sie eher lauten:
wie sieht die Zukunft der Landwirtschaft aus, wenn es so weitergeht wie bisher?
Da haben wir nämlich eine fortschreitende Industrialisierung, in dem große
Betriebe die kleinen Betriebe auffressen. Auf der anderen Seite sehe ich gerade
jetzt die Möglichkeit, die kleinen Betriebe zu stärken. Genossenschaften neu zu
strukturieren, wie es Bio Alto macht, den Direktverkauf zu stärken, um den
Produkten wieder ein „Gesicht“ zu geben – da können dann auch höhere Preise
verlangt werden. Ich persönlich finde es sehr wichtig, diese emotionale
Verbindung zwischen Produkt und Konsument wiederherzustellen. Das wäre auf
jeden Fall eine Zukunft, die ich vorziehen würde, denn viele kleine Betriebe im
Gegensatz zu wenigen großen bedeutet auch mehr Biodiversität. Auch wenn man
sagen muss, dass in Südtirol – auch dank des Tourismus – viele kleine Höfe die
Möglichkeit haben, weiterhin zu bestehen, und dass das „Höfesterben“ noch lange
nicht so ausgeprägt ist wie zum Beispiel in Deutschland.
Was ist denn der Unterschied zwischen der
Landwirtschaft in Deutschland und in Südtirol?
Der größte Unterschied ist wahrscheinlich das Image der Landwirt*innen.
In Deutschland sind die Betriebe vor allem jetzt wegen der Klimafrage stark in
Kritik geraten – teilweise zurecht – aber es ist für viele momentan auch
emotional schwierig. Es hat sich mittlerweile sogar der Begriff
„Bauern-Bashing“ etabliert, wo Bauern teilweise wirklich beschimpft werden.
Natürlich gibt es auch unter deutschen Landwirt*innen die Bewegung in Richtung
Nachhaltigkeit und Biodiversität, aber in Südtirol hat die Landwirtschaft schon
mal einen ganz anderen Stellenwert. Hier ist sie eng mit dem Landschaftsbild
verknüpft, das als eines unserer höchsten Güter gilt, da der Tourismus davon
lebt. Das schafft eine direkte Verbindung zwischen Landwirtschaft und Tourismus
und fördert das Image der hiesigen Bauern und Bäuerinnen. Außerdem hat die
Landwirtschaft hier in Südtirol eine sehr starke Lobby.
Ganz persönlich: wie kommt man zum Thema nachhaltige
Landwirtschaft in Südtirol?
[lacht] Man kommt dazu, indem man in Deutschland auf einem kleinen
Bauernhof aufwächst, so wie ich. Wir hatten eine Mutterkuhhaltung mit 10 Kühen,
was zum Überleben absolut nicht reicht, also muss man das eigentlich als Hobby
ansehen. Die Ställe im Umland waren – sofern sie nicht leer standen –
wesentlich größer, mit mindestens 200 Tieren pro Stall. Für mich war daher immer
klar, dass ich mit Landwirtschaft nichts am Hut habe. Ich habe dann Design
studiert und angefangen, mich für das Thema Nachhaltigkeit zu interessieren. Als
ich dann nach Bozen gezogen bin, um einen Master in Ecosocial Design zu machen,
habe mich erst wieder an meine eigenen Wurzeln erinnert. Denn Nachhaltigkeit
hat ganz viel mit dem Thema Lebensmittelproduktion zu tun – in meinen Augen
sind sie untrennbar miteinander verbunden. Lebensmitten nachhaltig herzustellen
bedeutet nämlich, auch das Land richtig zu nutzen und es wieder in Richtung
Biodiversität zu führen. In Südtirol ist mir das erst wieder klar geworden.
Wie kam dann aber der Kontakt zu dieser neuen
Generation an nachhaltigen Landwirt*innen zu Stande?
Das geschah im Rahmen meines Masterstudiums, genauer gesagt
meiner Masterarbeit. Diese habe ich den Südtiroler Landwirten und Landwirtinnen
gewidmet, sie trägt den Titel „Farmfluencers of South Tyrol“. Ich habe mich da vor
allem mit Betrieben auseinandergesetzt, die neue Konzepte von Nachhaltigkeit
oder sogar regenerativer Landwirtschaft aktiv leben – das heißt praktisch, dass
sie nicht nur ressourcenschonend arbeiten, sondern versuchen, mit ihrer
Landwirtschaft Ressourcen auch wiederaufzubauen. Genau hier hat die
Landwirtschaft ein extrem großes Potential. Sie kann den Klimawandel nicht nur
stoppen, sondern kann auch ganz vieles wieder gut machen. Während meiner Recherche
und diversen praktischen Erfahrungen habe ich dann beschlossen, eine
Interviewreihe mit den Landwirt*innen zu starten, in denen sie ihre ganz
persönlichen Erfahrungen teilen können. Was zum Beispiel passiert, wenn man auf
wenig Verständnis stößt mit dem, was man macht, wenn die Nachbarn einen
belächeln, oder wenn Dinge plötzlich funktionieren von denen alle immer gesagt
haben: das geht nicht. Aus dieser Interviewreihe ist mittlerweile ein eigenes
Projekt geworden, das denselben Titel trägt wie meine Masterarbeit:
Farmfluencers of South Tyrol.
Farmfluencers of South Tyrol als Projekt - was können
wir uns darunter vorstellen?
Farmfluencers ist eine Community von nachhaltigen und
zukunftsfähigen Bäuerinnen und Bauern in Südtirol, die sich regelmäßig trifft,
um sich auszutauschen. Auf der anderen Seite ist Farmfluencer aber auch ein
Storytelling Projekt, das Mut machen und jene inspirieren soll, die
nachhaltiger werden möchten. Auf unserer Webseite www.farmfluencers.org finden Interessierte
dann Artikel und Podcasts, die gibt’s mittlerweile auch auf Spotify, und
demnächst launchen wir auch unsere ersten Videos.
Du hast ja jetzt schon dein nächstes Projekt am Start,
diesmal mit uns zusammen: Direttissima. Was ist das denn?
Direttissima ist die erste „digital first“ Messe der Messe
Bozen, das heißt ein Projekt, das von Anfang an als hybrid gedacht wurde,
Corona hin oder her – es ist praktisch von Geburt an „natürlich hybrid“ [lacht].
Ziel ist es, die Direktvermarktenden aus ganz Italien mit einzubinden, von Nord
bis Süd, da in diesem Bereich jetzt vor allem mit der Pandemie ein Umdenken
stattgefunden hat. Der Anteil der Jungunternehmer in der italienischen Landwirtschaft
ist vergangenes Jahr erheblich gewachsen, so viel wie noch nie zu vor, und die
Direktvermarktung wird als Thema immer wichtiger. Direttissima wird zunächst eine
digitale Community für all diese Direktvermarktende sein, wo sie sich
austauschen können, aber auch an digitalen Events teilnehmen können und
Informationen finden. In einem zweiten Schritt – voraussichtlich 2022 – wird
Direttissima dann zu einer physischen Messe mit Ausstellern, also den
Ausstattern unserer Direktvermarktenden, zum direkten Austausch von eben
Produkten und Services, natürlich mit einem maßgeschneiderten Eventprogramm.
Farmfluencers und Direttissima – was ist das Ziel
dieser Communities für die neue Generation an Landwirt*innen?
Egal ob Storytelling-Projekt, digitale Community oder
physische Messe – das sind alles Mittel und Wege, der Landwirtschaft eine
Richtung zu geben und die kleinen Betriebe zu stärken. Auch weil die einzelne
Person oft schneller ist als die Institution oder die Politik. Wenn man sich
nachhaltig entwickeln will, braucht es irgendwann natürlich die entsprechenden
institutionellen und politischen Entscheidungen, aber in der Zwischenzeit hat jeder
einzelne Landwirt und jede Landwirtin die Macht, für sich selbst zu
entscheiden, etwas anders zu machen. Und so können irgendwann alle
Landwirt*innen gemeinsam entscheiden, nachhaltig zu werden. In der
Kleinteiligkeit der Landwirtschaft liegt unglaublich viel Kraft, so wie man
eben in einem Kollektiv stärker ist. Das alles würde man heute wahrscheinlich
einen „bottom up approach“ nennen [lacht].
Wie’s mit Farmfluencers weitergeht, wissen wir – wie
geht’s denn mit dem neuen Projekt Direttissima weiter?
Für unsere neue Direttissima feilen wir schon an den ersten
konkreten Initiativen, aber auch hier ist uns der eben genannte „bottom up
approach“ sehr wichtig. Daher läuft gerade eine italienweite Umfrage unter
allen Bauern und Bäuerinnen, die entweder schon direkt vermarkten, oder darüber
nachdenken. Da versuchen wir genau herauszufinden, was diese neue Generation an
Landwirt*innen jetzt braucht, und wie wir ihnen als Messe und als Direttissima
helfen können. Gerade weil wir wissen, dass die Direktvermarktung für die
Gestaltung einer nachhaltigen und zukunftsorientierten Wertschöpfungskette
unverzichtbar ist.
Wer kann teilnehmen? Alle Direktvermarktenden und jene, die es noch werden wollen.
Zeitraum: ab sofort!
Warum mitmachen? Unsere Direttissima ist Ihre Direttissima! Um alle Inhalte perfekt auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen, möchten wir Sie dazu einladen, Direttissima aktiv mitzugestalten. Alles was Sie dafür tun müssen, ist sich 5 Minuten Zeit zu nehmen. Wir freuen uns auf Ihre Antworten.
Sie sind kein*e Landwirt*in? Sie können uns trotzdem helfen. Leiten Sie einfach unsere kleine Umfrage an die Betriebe Ihres Vertrauens weiter.
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